Ich habe mich entschlossen, für den Bundestag 2017 zu kandidieren, weil 2020 absehbar ein entscheidendes Jahr für die Demokratie in Deutschland wird. Ein Jahr, mit dem das Schicksal der Kommunen grundlegend verändert werden kann. Denn 2020 läuft der Länderfinanzausgleich zusammen mit dem Solidarpakt II aus und außerdem greift die Schuldenbremse. Ein ideales Zeitfenster, um die Finanzarchitektur und den Föderalismus der Republik besser aufzustellen: mit klaren Zuständigkeiten, eindeutigen Verantwortungen, sachgerechten Finanzen und transparenten Entscheidungsprozessen für eine funktionierende Demokratie. Das war uns Grünen immer wichtig, jetzt wird es dringend!
Wohin man schaut: politische Systeme stecken in der Krise, nicht nur, aber auch in Deutschland. Das Vertrauen in Politik schwindet. Aus Nichtwähler*innen werden Protestwähler*innen. Rechtspopulist*innen instrumentalisieren den Politikverdruss und betreiben mit üblen Hetzparolen die Spaltung der Gesellschaft. Jammern hilft nicht. Reflexhafte „Die da…“-Schuldzuweisungen sind auch nicht wirklich hilfreich; denn im sie spalten noch zusätzlich. Allerdings kann man sich mit etwas Abstand fragen, warum sich – unterhalb der bundesweit beachteten Aufregerthemen – der Refrain „Die da oben“ zu einer kollektiven Erzählung verdichtet, zu der viele ihre eigene subjektive Geschichte beitragen. Fest steht: Dort, wo Politik erlebt und gelebt wird, wo Teilhabe praktiziert und politische Kontrolle und Transparenz einfach wären, nämlich in den Kommunen, sind die Entscheidungsspielräume Jahr für Jahr kleiner geworden. Wir haben uns über die Jahre leider schleichend daran gewöhnt, dass Aufgaben von der kommunalen Ebene auf Bund und Länder verlagert wurden.
In der geltenden Finanzarchitektur können sich die Kommunen für ihr grundgesetzlich verankertes Recht zur Selbstverwaltung (GG § 28) nichts kaufen – und müssen noch viele unterfinanzierte Aufgaben „von oben“ erledigen. Diese Verletzungen des Konnexitätsprinzips (Wer bestellt, bezahlt) lassen vor allem Kommunen mit vielen Bezieher*innen von Sozialtransfers kaum Spielraum für „freiwillige“ Aufgaben. Flexible Projekte für Kultur, soziale oder ökologische Zwecke können so allenfalls über städtische Gesellschaften, z.B. Ver- oder Entsorgungsunternehmen finanziert werden. Doch dort wird hinter verschlossenen Türen gehandelt. Demokratische Partizipation? Fehlanzeige!
Hinzu kommen goldene Fesseln in Form von Mischfinanzierungen. Quartiersmanagement zum Beispiel, ein offensichtlich ideales Thema für Demokratie vor Ort, findet fast nur noch im Rahmen kompliziert kofinanzierter Bundes- und Landesprogramme, und damit in einzelnen, „besonders erneuerungsbedürftigen“ Stadtteilen und zeitlich befristet statt: Monster-Bürokratie mit Stop & Go statt präventiver, nachhaltiger Problemlösung von und mit den Betroffenen vor Ort. Demokratische Teilhabe sieht anders aus, das merken Steuerzahler*innen auch.
Im Bundestagswahlkampf 2013 habe ich gelernt, dass viele Menschen nicht davon angetan sind, noch mehr Beiträge in ein System zu zahlen, das sie nicht überblicken. Gleichwohl, das zeigt übrigens auch die große Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge, ist das Engagement groß, wenn direkt erlebbar ist, was der persönliche Beitrag konkret bewirkt. Viel spricht daher für einen fixen Anteil der Kommunen am Aufkommen der Einkommenssteuer, ähnlich wie in Skandinavien. Das geht nicht ohne eine sorgfältige Aufgaben- und Finanzkritik. Zwingende Voraussetzung ist zudem, dass sich der Länderfinanzausgleich an Strukturdaten orientiert und für gleichwertige Lebensverhältnisse sorgt, wovon er gerade – das Land NRW ist betroffen – weit entfernt ist. Kurzum: Auf 2020 müssen wir uns gut vorbereiten.
Exkurs: Auch für den Zusammenhalt in Europa müssen wichtige Demokratiefragen gelöst werden. Auf dem grünen BAG Konvent Ende Mai in Berlin habe ich mich sehr dafür eingesetzt, dass es das Thema „Europa verändern, Demokratie stärken – Für eine starke Mitbestimmung“ auf die Vorschlagsliste der Schlüsselprojekte für den kommenden Bundestagswahlkampf kommt. Denn ohne ein funktionierendes Europaparlament mit Initiativrecht und transnationalen Wahllisten werden weiterhin nationale Egoismen die Entscheidungen in den Fragen dominieren, die alle Europäer*innen betreffen und Vorhaben gefährden, die uns Grünen besonders wichtig sind, wie etwa gemeinsamer Klima-, Umwelt- und Verbraucherschutz, globale Steuergerechtigkeit, aktive Friedenspolitik, eine Menschenrechts-konforme Flüchtlingspolitik und europäische Solidarität.
Die Zeit ist reif, um Demokratie auf allen Ebenen sachgerecht, durchschaubar und motivierend zu gestalten. Gerade wir Grünen im Ruhrgebiet wissen, wie frustrierend und lähmend es ist, wenn zu viele, die gar nicht von einer Entscheidung betroffen sind, diese über „Köpfe hinweg“ bestimmen können. Mischen wir uns also ein, mobilisieren wir gegen Politikverdruss, für eine funktionierende Demokratie und für unsere grünen Projekte überzeugend auf allen Ebenen!
Mit unserem grünen Ruhrgebiet in der Argumentation und im Herzen bin ich jetzt also unterwegs und freue mich über Weggefährt*innen. Vielen Dank schon einmal an den Grünen Kreisverband Herne und den Grünen Bezirksverband Ruhr, die mir mit ihren Voten für diese Bundestagskandidatur schon jetzt den Rücken stärken!
Weitere Infos:
Karl-Martin Hentschel, Von wegen alternativlos! Die gerechte Gesellschaft als Ziel Zürich: Europa Verlag 2013; ISBN 978-3-905811-77-3, besonders das Kapitel: „Wieso die Schweden gerne Steuern zahlen – Über die Bedeutung der Kommune für die Bürger“ oder Video unter: https://www.mehr-demokratie.de/initiative_starke_kommunen.html
Kommunalfinanzbericht 2015 der Metropole Ruhr | Vortragsfolien
http://www.metropoleruhr.de/typo3conf/ext/idrgalerie/res/image.php?file=2015-12-10_PK_Kommunalfinanzbericht_Metropole_Ruhr_Vortrag.pdf
Deutscher Städtetag, z.B. http://www.staedtetag.de/presse/mitteilungen/077287/index.html
Bertelsmannstiftung, u.a. Kommunaler Finanzreport 2015: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/kommunaler-finanzreport-2015